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Schadensregulierung Personenschäden

Schleudertrauma – HWS Syndrom

Verletzungen der Halswirbelsäule (HWS) sind eine der häufigsten Verletzungen nach Verkehrsunfällen. Die Verletzung kommt besonders oft bei Auffahrunfällen vor und wird von den Medizinern und Ärzten als HWS-Distorsion diagnostiziert. Beim Aufprall wird der Kopf stark beschleunigt und zurück in die Kopfstütze geschleudert, es entstehen Weichteilverletzungen der Wirbelsäule, die durch die abrupte Geschwindigkeitsänderung hervorgerufen werden. Nachdem der Ablauf einem Peitschenhieb gleicht wird die Verletzung auch Synonym als Peitschenschlagphänomen bezeichnet. Im Englischen heißt Schleudertrauma auch whiplash injury. Die Bezeichnung HWS – Syndrom hat sich ebenfalls eingebürgert.

Nachdem es sich um eine häufig vorkommende Beeinträchtigung handelt wird hier auf folgende Punkte eingegangen:

  1. medizinische Ursache
  2. Schweregrade
  3. Schmerzensgeldhöhe
  4. Beweislastverteilung
  5. Harmlosigkeitsgrenze
  6. Feststellungsbedürfnis für die Zukunft

1. Welche medizinischen Ursachen liegen einer HWS-Distorsion zu Grunde?

In der Medizin wird das Schleudertrauma korrekt als Akzelerations-Dezelerationsmechanismus mit Energieübertragung auf die Nackenregion definiert. Es findet beim Aufprall auf das Heck des eigenen Fahrzeugs eine starke Beschleunigung des Kopfes statt, ohne dass die betroffene Person entgegenwirken könnte. Die Beschleunigung des Kopfes wird kurz darauf wieder abrupt gestoppt. Entweder durch die Frontscheibe oder idealer Weise durch den Gurt. Es kommt zu einer Überstreckung und Überdehnung des Nackenbereichs.

Oftmals treten die Symptome erst nach einiger Zeit auf und der Betroffene verspürt am Unfallort noch keine Schmerzen. Später verkrampft die Hals- und Nackenmuskulatur (Hartspann oder Muskelhartspann), was zu Steifheit und Schmerzen in diesem Bereich führt. Häufig sind auch dadurch bedingte Kopfschmerzen.

2. Gibt es eine offizielle Klassifizierung bei Verletzungen der Halswirbelsäule?

In der Medizin gibt es die sog. Quebec-Klassifikation. In der Juristerei und auch bei vielen (Haus-) Ärzten hat sich eine Einteilung in lediglich 3 Gruppen durchgesetzt:

HWS-Distorsion 1. Grades: Es handelt sich um leichte Fälle mit Nacken- und Kopfschmerzen. Es kommt zu geringeren Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule. Bei bildgebender Diagnostik durch Röntgen ist keine Veränderung zu sehen. Auch neurologisch zeigt sich kein abnormer Befund, es liegt kein Kribbeln o.ä. vor. Es kann teilweise recht lange dauern, bis die Symptome auftreten.

HWS-Distorsion 2. Grades: Es handelt sich um mittelschwere Fälle. Beim Röntgen sind Veränderungen sichtbar. Es kommt u.a. zu Schiefstand, Kapseleinrissen oder Gefäßverletzungen. Die Symptome treten entweder sofort oder kurz nach dem Unfall bereits auf und steigern sich rasch.

HWS-Distorsion 3. Grades: Es handelt sich um schwere Fälle mit Rissen und Frakturen. Es gibt keine Latenzzeit. Die Beschwerden treten sofort auf.

3. Gibt es feste Schmerzensgeldsätze beim Schleudertrauma?

Es handelt sich zwar insbesondere bei den leichten HWS-Verletzungen um „Massengeschäft“, aber auch hier gibt es keine festen Sätze. Es gilt das oben zur Bemessung des Schmerzensgeldes gesagte.

Es gibt zahlreiche Gerichtsentscheidungen, bei denen den Verletzten ein Schmerzensgeld verweigert wurde, jedoch sind Beträge unter 500,- € eher selten.

Meine persönliche „Lieblingsentscheidung“ ist die des AG Nürnberg vom 05.02.2004 (Az. 34 C 8818/03), in der einem Pensionär, der lediglich geringfügige Beeinträchtigungen angab, nicht krank geschrieben wurde und sich auch nur einmalig am Unfalltag in Behandlung begab, 600,- € Schmerzensgeld für seine HWS-Distorsion zugesprochen wurden.

Tipp vom Fachanwalt: Lassen Sie sich nicht mit dem Argument der Versicherung, es handle sich lediglich um eine „Bagatellverletzung“ ohne oder mit zu geringem Schmerzensgeld abspeisen. Die Reparatur des Fahrzeugs wird ja auch nicht mit dem Argument „Bagatellschaden“ abgelehnt.

4. Was muss bewiesen werden, wenn die gegnerische Versicherung eine Verletzung bestreitet?

Insbesondere bei HWS Verletzungen des Schweregrades 1 liegt kein sicheres Bildmaterial vor. Die gegnerische Haftpflichtversicherung wird daher vortragen, dass es sich bei Nackenschmerzen und Kopfschmerzen um alltägliche Beschwerden handelt, die nicht vom Unfall herrühren müssen. Diese Taktik wird von Versicherern häufig dann angewendet, wenn der Geschädigte aufgrund der teilweise langen Latenzzeit sich nicht direkt nach dem Unfall zum Arzt begibt, sondern erst am Tag danach.

Es gilt die allgemeine Beweislast, nach der der Geschädigte eine Verletzung gem. § 286 ZPO im sog. Strengbeweis nachweisen muss. Erst nach dem Nachweis einer Primärverletzung greift die Beweiserleichterung des § 287 ZPO für die Folgen dieser Verletzung.

In diesem Rahmen wird oft ein unfallanalytisches Sachverständigengutachten eingeholt, um die auf den Körper einwirkenden Kräfte zu bestimmen. Das Attest des Arztes ist insoweit nicht ausreichend als Beweis, da Ärzte lediglich die vom Patienten geschilderten Beschwerden niederschreiben ohne selbst beispielsweise die geschilderten Kopfschmerzen in irgend einer Weise verifiziert zu haben oder verifizieren zu können. Es handelt sich lediglich um ein Indiz.

5. Was hat es mit den Begriffen Differenzgeschwindigkeit und Harmlosigkeitsgrenze auf sich?

In diesem Zusammenhang wurde früher von der Versicherungswirtschaft und in den von ihr bezahlten Studien immer vertreten, dass es bei Geschwindigkeitsänderungen von 10 bis 15 km/h nicht zu einer Verletzung der HWS kommen kann. Die hier wirkenden Kräfte seien zu gering. Es wurde versucht eine sog. „Harmlosigkeitsgrenze“ einzuführen.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dann in einem Urteil vom 28.01.2003 (Aktenzeichen VI ZR 139/02) dieser schematischen Betrachtungsweise eine klare und endgültige Absage erteilt, indem er festgestellt hat, dass allein der Umstand einer geringen kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung nicht ausreichend ist, um eine HWS-Verletzung gänzlich auszuschließen.

Damit ist die „Harmlosigkeitsgrenze“ nicht völlig vom Tisch.

Die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung der Halswirbelsäule ist nämlich tatsächlich proportional zu dem Ausmaß der kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung. Je geringer also der Aufprall, desto kleiner ist auch die Wahrscheinlichkeit einer Halswirbelsäulenverletzung. Selbiges gilt natürlich auch für den umgekehrten Fall. Ist der Aufprall so groß, dass er zu einem Totalschaden am Fahrzeug geführt hat, so ist von einer Verletzung der HWS bei den Insassen des Fahrzeugs auszugehen.

War der Körper des Verletzten nach unfallanalytischen Erkenntnissen nur einer geringen biomechanischen Belastung ausgesetzt, so ist es erforderlich weitere Indizien, wie beispielsweise Vorschäden, Alter, schlechte Konstitution, verdrehte Sitzposition zur Zeit des Unfalls und dergleichen darzulegen, welche dem Richter die Möglichkeit bieten einen Rückschluss auf eine HWS-Distorsion zu ziehen.

6. Kann man bereits bei einer HWS-Distorsion einen Fortsetzungsfeststellungantrag stellen um sich gegen eventuelle Dauerschäden abzusichern?

Eine HWS Distorsion sollte spätestens nach 14 Tagen folgenlos ausgeheilt sein. Ist dies nicht der Fall, so verläuft der Krankheitsverlauf atypisch. Es ist somit nicht auszuschließen, dass noch Folgeschäden nach der kurzen Verjährungszeit eintreten werden. Darüber hinaus erleiden 10-20% der Patienten nach einer Beschleunigungsverletzung eine Chronifizierung der Erkrankung, die scheinbar in keinem Zusammenhang zur Schwere der (nichtknöchernen) Verletzung steht (vgl. Hausotter, Deutsches Ärzteblatt 1999,96: A-1481-1484 Heft 22, ärztliche Gutachten).

Wenn sich die Heilung also über Wochen und Monate hinzog und die Verletzung ggf. bis zum Zeitpunkt der Klage immer noch nicht folgenlos ausgeheilt ist, kann nicht gesagt werden wie sich die Mikrorisse, welche sich der Geschädigte bei dem Unfall zuzog, zukünftig entwickeln werden. Es besteht also ein Feststellungsbedürfnis des Geschädigten, dass festgestellt wird, dass der Schädiger auch nach dem Ablauf der kurzen Verjährungszeit von 3 Jahren für eventuelle Folgeschäden aufzukommen hat.

Tipp vom Fachanwalt: Versicherungen wollen in der Regel allerdings die Akte endgültig abschließen, da ansonsten in der Bilanz des Konzerns Rückstellungen gebildet werden müssen. Die Versicherungen sind daher bereit ein erhöhtes Schmerzensgeld zu bezahlen, wenn der Verletzte auf eventuelle Folgeschäden verzichtet. Hierbei ist jedoch eine genaue Beratung erforderlich, da mit derartigen Abfindungsvergleichen auch Risiken einhergehen, die der Versicherer dem Geschädigten „abkauft“.