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Verkehrsrecht

Spurwechsel vs. Auffahrunfall

02.11.2015

Ist strittig und nicht bewiesen, wie in einer derartigen Konstellation der Unfall zustande gekommen ist, so gilt kein Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden (vgl. BGH Urteil v. 30.11.2010, Az. VI ZR 15/10).

In einer solchen Situation gilt nicht mehr der Erfahrungssatz, dass der Auffahrende den Unfall infolge zu hoher Geschwindigkeit, Unaufmerksamkeit und/oder unzureichendem Sicherheitsabstand verschuldet hat. Mindestens ebenso nahe liegt der Schluss, dass der Überholende zuvor gegen die hohen Sorgfaltsanforderungen des § 7 Abs. 5 StVO verstoßen und sich mit einem so geringen Abstand vor das überholte Fahrzeug gesetzt hat, dass der Sicherheitsabstand vom Überholten nicht mehr rechtzeitig vergrößert werden konnte, was sich letztendlich beim plötzlichen Abbremsen des Überholenden unfallkausal auswirkte.

Gegen den Auffahrenden spricht insbesondere nicht der Beweis des ersten Anscheins. Allein das Kerngeschehen eines Heckanstoßes als solches reicht als Grundlage eines Anscheinsbeweises nicht aus. Der vorangegangene Spurwechsel widerspricht der notwendigen Typizität um von einem Anscheinsbeweis auszugehen. Im Fall eines unmittelbar zuvor erfolgten Spurwechsels des Vorausfahrenden spricht der Beweis des ersten Anscheins gerade nicht gegen den Auffahrenden, sondern vielmehr dafür, dass der Vorausfahrende gegen § 7 Abs. 5 StVO verstoßen hat. Der die Fahrspur wechselnde Fahrer muss nämlich eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen. Dieser gesteigerten Sorgfaltsanforderung ist er im Falle eines Unfalls wohl augenscheinlich nicht nachgekommen.

Lässt sich daher nicht beweisen, ob der Unfall durch den vorhergehenden Spurwechsel oder die Unaufmerksamkeit des Auffahrenden verursacht wurde, geht das OLG München und andere Oberlandesgerichte in ständiger Rechtsprechung von einem non liquet und hälftiger Schadensteilung aus (vgl. etwa OLG München, Urteil vom 4. September 2009 - 10 U 3291/09, juris, Rn. 21; KG, Beschluss vom 14. Mai 2007 - 12 U 195/06, NZV 2008, 198, 199 und Urteil vom 21. November 2005 - 12 U 214/04, NZV 2006, 374, 375; OLG Düsseldorf, Urteil vom 8. März 2004 - 1 U 97/03, juris, 2. Orientierungssatz, Rn. 10, 19; OLG Hamm, Urteil vom 8. Dezember 1997 - 6 U 103/97, MDR 1998, 712, 713 und OLG Celle, Urteil vom 26. November 1981 - 5 U 79/81, VersR 1982, 960 f.).

Dies gilt auch dann, wenn unstreitig ein Fahrspurwechsel stattgefunden hat, aber streitig und nicht aufklärbar ist, ob die Fahrspur unmittelbar vor dem Anstoß gewechselt worden ist und sich dies kausal auf den Unfall ausgewirkt hat. Die obergerichtliche Rechtsprechung argumentiert dann hauptsächlich damit, dass der Zusammenstoß mit einem vorausfahrenden Fahrzeug nur dann ein typischer Auffahrunfall ist, wenn nach der Lebenserfahrung der Schluss auf zu schnelles Fahren, mangelnde Aufmerksamkeit und/oder einen unzureichenden Sicherheitsabstand des Hintermannes gezogen werden kann. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn feststeht, dass sich das vorausfahrende Fahrzeug schon "eine gewisse Zeit" vor dem auffahrenden Fahrzeug befunden hat. Es muss feststehen und ggf. vom Vorausfahrenden bewiesen werden, dass der Überholende dem Auffahrenden die Möglichkeit gegeben hat, nach dem Überholmanöver einen ausreichenden Sicherheitsabstand herzustellen (vgl. etwa OLG München, Urteil vom 21. April 1989 - 10 U 3383/88, NZV 1989, 438).

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